Das kalifornische High-Tech-Zentrum zieht auch deutsche Unternehmen an. Kann man dort Innovation lernen? Von Andrea Wiedemann
Man kann das Silicon Valley nicht kopieren, aber man muss es kapieren.“ Dieses Diktum von Siemens-Chef Joe Kaeser nehmen sich viele Unternehmen zu Herzen. Ob Telekom, Springer, Henkel, Bertelsmann oder Otto – Konzerne aus Deutschland entsenden ihre Top-Manager zur Studienfahrt ins nördliche Kalifornien, damit sie den Spirit vor Ort mit allen Sinnen inhalieren. Die Konzentration von intellektuellem Kapital, Unternehmergeist und Geld macht die Silicon-Valley-Kultur einzigartig.
Diese Zutaten sind die Katalysatoren für die Erfolgsgeschichte des „Valleys“, die in den 1950er-Jahren im Stanford Industrial Park begann. Dieses Forschungs- und Industriegebiet neben der Stanford Universität in Palo Alto zog in den 1960er- und 1970er-Jahren immer mehr Unternehmen aus der Halbleiter- und Computertechnik an, die sich im Santa Clara Valley niederließen. Dem Halbleiterwerkstoff Silizium verdankt dieser Landstrich den Namen „Silicon Valley“, den eine US-Fachzeitschrift 1971 prägte.
Source: www.ihk-nuernberg.de
In seinem innovativen Klima haben sich Giganten der digitalen Ökonomie entwickelt wie Google, Apple, Adobe, Intel, Facebook oder Twitter. Die Region mit einer Fläche von 4 800 Quadratkilometern und 2,9 Mio. Einwohnern, die sich zwischen den U.S. Highways 101 und der Interstate 280 von San Francisco über Palo Alto, Mountain View, Sunnyvale und Cupertino bis San José erstreckt, ist ein Schwergewicht der internationalen Wirtschaft: Mit einer Marktkapitalisierung von 478,8 Mrd. US-Dollar belegt Apple Platz eins auf dem Financial Times Global 500 Ranking, das die gemessen am Börsenwert 500 größten Unternehmen der Welt auflistet (Stichtag 31. März 2014). Mit 101 000 US-Dollar lag das Durchschnittsgehalt im Silicon Valley fast doppelt so hoch wie in den Vereinigten Staaten insgesamt (55 600 US-Dollar). In der Patentstatistik ist die Region unangefochtener Rekordhalter: 2013 wurden dort rund 17 000 Patente registriert, fast 13 Prozent aller US-Patentanmeldungen in diesem Zeitraum.
Ein wesentlicher Faktor für diesen Erfolg ist eine Infrastruktur für Forschung und Entwicklung, die das Silicon Valley zu einem Biotop für Innovationen werden ließ. Neben der Stanford University lehren und forschen dort die University of California und die California State University. Bekannte staatliche Labors wie das Ames Research Center der Nasa sind ebenso in der Region ansässig wie interdisziplinäre Forschungseinrichtungen. Dieses dicht geknüpfte intellektuelle Netzwerk fördert den Austausch zwischen Wissenschaft und Unternehmen, entsprechend schnell läuft die Genese einer Idee zum marktreifen Produkt, Prozess oder Service.
Und Wagniskapital, die unersetzliche Zutat für die Kommerzialisierung von Geschäftsideen, ist im „Silicon Valley“ und in San Francisco reichlich vorhanden: 2014 flossen 14,6 Mrd. US-Dollar Venture Capital (VC), das entspricht 43 Prozent des gesamten in den USA investierten Wagniskapitals. Geldspritzen von VC-Investoren erhielten u.a. Uber (1,2 Mrd. US-Dollar), Dropbox (325 Mio. US-Dollar) und Airbnb (200 Mio. US-Dollar).
Hohe Hürden für Start-ups
Viele Wagniskapitalgeber residieren in der Sand Hill Road in Menlo Park, die als teuerste Straße der Welt gilt, und suchen von dort nach dem „Big Deal“. Dabei sind sie überaus wählerisch, entsprechend hoch sind die Hürden für Startups im Rennen zu den Geldquellen: Von 100 vorgelegten Geschäftsplänen werden etwa zehn ernsthaft geprüft, davon wird einer finanziert. Gründer in spe müssen nicht nur zündende Ideen und überzeugende Businesspläne mitbringen. Nur über die richtigen Kontakte lösen sie ein Ticket in den exklusiven Kreis der etwa 20 einflussreichsten „Deal Maker“. „Ohne Empfehlung geht gar nichts“, erklärte Rene van den Hoevel, Geschäftsführer im Büro der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer in San Francisco, vor Kurzem beim „Beratungstag USA“ in der IHK Nürnberg für Mittelfranken.
Die Erfahrung, dass Empfehlungen der Schlüssel zur Expansion im Silicon Valley sind, macht auch die Sellbytel Group. Der 1988 in Nürnberg gegründete, heute weltweit agierende Outsourcing-Spezialist ist seit mehreren Jahren in San Francisco und im Silicon Valley vor Ort. „Kundennähe ist entscheidend“, betont Vertriebsleiter Philipp Grimm. Zu den Klienten im Valley zählen bekannte Namen, die allerdings diskretionshalber nicht genannt werden. Für sie übernimmt Sellbytel beispielsweise Vertriebsdienstleistungen oder das Kundenbindungsmanagement. „Dabei ist unser Grundsatz als Dienstleister, dass wir Aufgaben nicht nur abarbeiten, sondern Prozesse kontinuierlich verbessern, im Spirit des Valley innovativ sind und damit Mehrwert für unsere Auftraggeber schaffen“, betont Grimm. Mit dieser Philosophie könne Sellbytel gerade im Silicon Valley punkten, wo Stillstand als Rückschritt gelte: „Zum Verständnis von Entrepreneurship gehören dort Innovationsfreude und die Bereitschaft, den Status quo ständig zu hinterfragen. Von dieser Kultur profitieren wir als Unternehmen, wenn unsere Mitarbeiter diese Einstellung in die Organisation einbringen.“
Motor der Industrie 4.0
Die Dynamik der Region zeigt eine aktuelle Entwicklung: Kenner des Silicon Valley sprechen von einer „Hardware-Renaissance“, die von der Industrie 4.0 beflügelt wird. Die vierte industrielle Revolution bringt das „Internet der Dinge und Dienste“ in die Fabriken. Die Steuerung der Produktion erfolgt auf Basis des Daten- und Informationsaustausches zwischen Betriebsmitteln, Maschinen und Logistiksystemen. Ausgestattet mit „Embedded Systems“ als Mini-Computer können die am Fertigungsprozess beteiligten Objekte miteinander kommunizieren. So wachsen Hard-und Software in der Produktion zusammen – was die von den IT-Techies im Silicon Valley schon abgeschriebene Fertigungsindustrie (leicht herablassende Bezeichnung: „brick and mortar“ – Steine und Mörtel) plötzlich wieder interessant macht.
„Das Silicon Valley wird bei Themen wie industrielle Automation und industrielle Prozesse erheblich an Bedeutung gewinnen“, erklärte Ralf Schnell, Chef der Venture-Capital-Einheit von Siemens in einem Interview. Als Wagniskapitalgeber möchte Siemens von strategischen Investitionen profitieren und screent mit einem Team in Palo Alto viel versprechende Investment-Kandidaten: „Gerade in Bereichen, in denen die Industrie zunehmend durch Software-Themen geprägt wird, wollen wir Startups bereits in der Frühphase unterstützen.“ In seinem „Industry of the Future Fund“ stellte Siemens dafür 100 Mio. US-Dollar zur Verfügung.
Nicht nur Siemens nimmt regen Anteil, wie die Industrie 4.0 in Nordkalifornien vorangetrieben wird. Mehr und mehr Unternehmen aus aller Welt entsenden „Trendspotter“ ins Silicon Valley, um keinesfalls die neuesten Entwicklungen zu verschlafen. Zur Wachsamkeit rät Rene van den Hoevel auch deutschen Mittelständlern, etwa aus dem Maschinenbau. Die diffuser werdenden Grenzen zwischen Hard- und Software betreffen nämlich deren Kernkompetenzen und könnten irgendwann etablierte Geschäftsmodelle infrage stellen. Was passiert beispielsweise, wenn die Ersatzteile für Maschinen aus dem 3D-Drucker kommen? „Die deutschen Unternehmen sollten das Silicon Valley nicht unterschätzen“, warnt van den Hoevel. „Die Entwicklungen dort vollziehen sich in einem rasanten Tempo. Es ist eine andere Welt. Die ist nur zu verstehen, wenn man dort ist.“
Große deutsche Konzerne sind schon lange dort: Software-Hersteller SAP hat bereits 1993 sein Forschungszentrum in Palo Alto eröffnet. Die Universitätsstadt ist auch Sitz des Bosch Research and Technology Center North America. Für Automobilhersteller ist das Valley eine überaus interessante Adresse, weil die Bedeutung von Informationstechnologie in Fahrzeugen stetig zunimmt: Ob BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen – die deutschen Global Player der Fahrzeugindustrie sind mit Forschungseinrichtungen in der Region vertreten. 2014 hat Continental die Geschäftseinheit „Continental Intelligent Transportation Systems“ gegründet. Mit diesem Schritt unterstrich der Automobilzulieferer, dass er sich intensiv mit den Themen intelligente Transportsysteme und vernetzte Fahrzeuge auseinandersetzt, die als Schlüsseltechnologie und -systeme für die Mobilität der Zukunft gelten. Auch die Deutsche Telekom ist vor Ort präsent: Sie hat in Mountain View das Silicon Valley Innovation Center gegründet, das neue Produkte entwickelt.
Der klassische deutsche Mittelstand hat es allerdings schwerer, im Silicon Valley Fuß zu fassen. Der Standort kann sich als hartes Pflaster erweisen: So ist es für eine – zumindest auf dem amerikanischen Markt – unbekannte Firma schwierig, sich im harten Wettbewerb um die besten Köpfe als attraktiver Arbeitgeber zu profilieren und beim Lohnniveau mitzuhalten. Kooperationen mit US-Unternehmen, die bereits im „Valley“ aktiv sind, erweisen sich häufig als einfacherer Weg, um neue Vertriebskanäle zu erschließen.
Für den Erfolg spielt auch der sogenannte „Cultural fit“ eine entscheidende Rolle: Immer wieder erlebt Rene van den Hoevel, wie deutsche Unternehmer mit dem Spirit des Silicon Valley fremdeln: Die Kunst des gleichermaßen lässigen und zielstrebigen Networkings ist eine schwierige Disziplin, die offensichtlich nur wenige „Zugereiste“ beherrschen.
Um deutschen Mittelständlern interessante Einblicke in die jeweils jüngsten Trends des Silicon Valley zu bieten, organisiert die Deutsch-Amerikanische Handelskammer themenspezifische Veranstaltungen für bestimmte Branchen und Marktsegmente, beispielsweise erneuerbare Energien oder Energieeffizienz. Derzeit werden Pläne für ein deutsch-amerikanisches Innovationssymposium geschmiedet, das im ersten Halbjahr 2016 stattfinden soll.
Wer von solchen Veranstaltungen aber Blaupausen erwartet, um das Innovationszentrum an der San Francisco Bay nach Deutschland zu beamen, wird wahrscheinlich enttäuscht nachhause reisen. Paul Graham, Autor, Investor und Gründer des Startup-Inkubators Y Combinator, der u.a. Dropbox und AirBnB hervorgebracht hat, ist überzeugt: „Das Silicon Valley ist wie Hollywood. Man kann es nicht kopieren.“