Vernetzung

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Künstliche Intelligenz schont Umwelt und Ressourcen: Online-Konferenz der IHK mit Teilnehmern aus 35 Staaten.

Künstliche Intelligenz (KI) kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltiger zu machen und die Umwelt zu schützen. Der Kongress IPEC („International Production Environmental Community“), den die IHK Nürnberg für Mittelfranken jährlich veranstaltet und der in diesem Jahr online stattfand, nahm sich deshalb dieses Themas an. Moderiert wurde die Veranstaltung am 8. und 9. März von Prof. Dr. Helen Rogers, Professorin für International Management an der Technischen Hochschule Nürnberg. „Wir brauchen mehr denn je eine enge internationale Zusammenarbeit, um Lösungen für die wichtigsten Herausforderungen zu entwickeln. Dies gilt insbesondere auch für die zukunftsweisende Technologie der Künstlichen Intelligenz“, betonte Dr. Ronald Künneth, Experte für vernetzte Produktion und Automatisierungstechnik bei der IHK, bei der Begrüßung. Die IPEC biete die Gelegenheit, anhand von Beispielen aus unterschiedlichen EU-Staaten voneinander zu lernen.

Wie KI-Modelle für eine nachhaltige und resiliente Produktion eingesetzt werden können, skizzierte Dr. Dina Barbian, Leiterin des Instituts für Nachhaltigkeit in Nürnberg (www.nachhaltigkeit2050.de). Ein Beispiel ist der flexible Neuaufbau von Fertigungslinien, um deren Strukturen schnell an plötzliche Marktveränderungen anzupassen. Dieser zeitaufwändige und fehleranfällige Prozess kann mit Hilfe von Verfahren der Künstlichen Intelligenz teilweise automatisiert und beschleunigt werden. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz eines KI-gesteuerten digitalen Zwillings, der vorhersagen kann, wann Probleme in der Lieferkette drohen, und darüber hinaus auch proaktiv Lösungen vorschlägt, um diese von vorneherein zu vermeiden. Der Einsatz von KI-Systemen ist allerdings ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite kann diese Technologie in zahlreichen Anwendungsfeldern einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten, wie die Beiträge auf der IPEC zeigten. Auf der anderen Seite ist jedoch der hohe Energieverbrauch von Systemen für das maschinelle Lernen zu beachten: Das gilt insbesondere für die Anpassung der Technologie („Training“) an die jeweiligen Anforderungen und Aufgaben. Laut Barbian beläuft sich der CO2-Fußabdruck für das „Training“ eines besonders leistungsfähigen tiefen neuronalen Netzes zur Sprachverarbeitung auf bis zu 284 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente. Das entspreche dem Fünffachen der Emissionen eines durchschnittlichen Autos über den gesamten Lebenszyklus. Auch wenn die in der Industrie eingesetzten KI-Modelle einen deutlich geringeren Energieverbrauch aufwiesen als dieses extreme Beispiel, bleibe die Effizienzsteigerung eine Herausforderung.

Projekte aus mehreren Staaten

Vorgestellt wurden auf dem Kongress Projekte aus mehreren EU-Staaten, die beispielhaft aufzeigten, wie die Künstliche Intelligenz das nachhaltige Wirtschaften voranbringen kann. Eine zentrale Rolle spielt hier das bereits erwähnte maschinelle Lernen, das häufig mit künstlichen neuronalen Netzen umgesetzt wird. Mit dieser Technologie kann ein KI-Modell trainiert werden, das aus den Produktionsbedingungen (z. B. Einstellgrößen der Maschinen, Qualität des zugeführten Materials, Umgebungstemperatur) vorhersagen kann, welcher Energieverbrauch der Maschinen zu erwarten ist. Wenn der tatsächliche Energieverbrauch von dem Referenzwert abweicht, der durch das KI-Modell vorhergesagt wird, weist dies auf Anomalien hin. Aus diesem Hinweis können in vielfältiger Weise bisher noch nicht erschlossene Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden.

Energieeinsparung in der Produktion

Arnaud Legrand, CEO von Energiency SAS aus Frankreich, präsentierte eine solche KI-gestützte Methode, um den Verbrauch unterschiedlicher Energieträger wie Strom, Erdgas oder Druckluft zu überwachen und zu optimieren. Mit dieser Methode wurde beispielsweise der Energieverbrauch in dem größten französischen Werk des Wälzlager-
unternehmens SKF um sechs Prozent verringert, was einer jährlichen Einsparung von 60 000 Euro entspricht. Laut Rob Burghard, Direktor der EnergieGQ BV aus den Niederlanden, können mit Hilfe eines solchen KI-Modells nicht nur Energieeinsparungen im Bereich von fünf bis 15 Prozent erreicht, sondern auch der Materialeinsatz und das Abfall-
aufkommen reduziert werden. Außerdem lassen sich die Nutzungsdauer von Verschleißteilen und die Dauer der Wartungszyklen optimieren.

Jon Lindén, CEO der Ekkono Solutions aus Schweden, präsentierte eine Technologie, mit der das maschinelle Lernen eingebettet in den Maschinen und Anlagen vor Ort erfolgt und auf diese Weise zur Energieeinsparung und zur Ressourcenoptimierung genutzt werden kann. Hierbei ist keine Datenübertragung in die Cloud erforderlich, da die sonst übliche Trainingsphase (Anpassung des Systems an die Anforderungen und Aufgaben) in einem Rechenzentrum entfällt. Das Training erfolgt stattdessen während des Betriebs schrittweise in den sehr viel kleineren eingebetteten Hardware-Plattformen der Maschinen und Anlagen (sogenanntes „Incremental Learning at the Edge“).

Jens Horstmann, Vorstand der Trevisto AG in Nürnberg, stellte ein Forschungsprojekt vor, das sein Unternehmen derzeit in Kooperation mit dem Erlanger Fraunhofer-Institut IIS im Siemens-Werk Amberg umsetzt. Dort soll die Qualität der produzierten Leistungsschalter mit einem KI-Modell nahezu in Echtzeit prognostiziert werden, um Testzeiten und Ausschüsse zu verringern. Darüber hinaus kann das KI-Modell auch zur Entwicklung von neuen Leistungsschaltern eingesetzt werden.

Die Blockchain-Technologie eignet sich nicht nur für Kryptowährungen, sondern auch zur Rückverfolgung und Optimierung entlang von Liefer- und Wertschöpfungsketten, wobei Manipulationen ausgeschlossen sind. In Kombination mit einer KI-basierten Bilderkennung kann auf diese Weise beispielsweise der Weg des Abfalls von der Entstehung bis zum Recycling vertrauenswürdig und sicher rückverfolgt werden, so Francisco Zaplana von der spanischen Teralco Group. Damit würden auch schädliche Auswirkungen auf die Umwelt reduziert.

Eine weitere Methode zur nachhaltigen Abfallwirtschaft stellte Martin Basila, CEO der Sensoneo aus der Slowakei vor: Sensoren werden beispielsweise eingesetzt, um automatisch den Füllstand von Containern zu messen und die Routen der Müllwagen intelligent zu planen. Mit einer datengesteuerten Entscheidungsfindung lassen sich die Routen der Müllabfuhr, die Abholfrequenzen und die Fahrzeugladungen optimieren. Wichtiger Aspekt dabei: Das Personal wird entlastet und kann besser eingesetzt werden.

Prof. Dr. Erwin Rauch von der Freien Universität Bozen präsentierte auf dem IPEC-Kongress KI-Anwendungen für eine resiliente und nachhaltige Produktion. Ein Beispiel ist die KI-unterstützte Produktentwicklung, mit der eine Vielzahl von Design-Alternativen in kürzester Zeit virtuell getestet und im Hinblick auf Materialeinsatz und Leichtbau optimiert werden kann. Ein großer Hoffnungsträger ist das sogenannte bio-inspirierte Design: So werden beispielsweise Roboterarme nach dem Vorbild von Elefantenrüsseln gestaltet, was die feinfühlige Handhabung von zerbrechlichen Objekten ermöglicht.

Thomas Weisshaupt von Wirepass Ltd. in Finnland stellte einen 5G-Mobilfunk-Standard vor, bei dem jedes Gerät gleichzeitig sowohl als Sender als auch als Empfänger von Daten fungiert. Hier kann auf die klassische Infrastruktur mit Funkmasten verzichtet werden. Der fränkische Automobilzulieferer Schaeffler nutzt diesen Standard im Rahmen einer deutsch-finnischen Kooperation und kann hiermit den Zustand von Maschinen und Anlagen billiger, sicherer und energieeffizienter überwachen.

Dr. Andreas Peters und Dr. Daniel Trauth von der Mendritzki Holding GmbH & Co. KG in Plettenberg sowie der Senseering GmbH in Köln präsentierten das Forschungsprojekt „Spaicer“ („Skalierbare adaptive Produktionssysteme durch KI-basierte Resilienzoptimierung“). Im Blickpunkt steht hier die Resilienz eines Feinschneid-Fertigungssystems, mit dem häufig sicherheitskritische Präzisionsbauteile gestanzt werden. Vor dem eigentlichen Stanzprozess muss das zugeführte Metallband gerade gestreckt werden. Um diesen Vorprozess zeit- und materialeffizient zu gestalten, wird im Rahmen von „Spaicer“ ein KI-Modell entwickelt: Es misst über den Magnetismus die Eigenschaften des gewickelten Metallbandes und sagt auf dieser Basis die idealen Einstellparameter der Werkzeugmaschine für die Biegestreckung vorher.

Patrick Klee und Kurt Salman von der openpack Cipa GmbH aus Weiden berichteten über eine Online-Plattform für die Wellpappenindustrie: Sie umfasst ein digitales Abbild der Fabrik sowie ein KI-gestütztes Frühwarnsystem, das Unregelmäßigkeiten (z. B. erhöhten Stromverbrauch und Engpässe in der Produktion) anzeigt. So werden alle Prozesse transparent und es kann frühzeitig reagiert werden, bevor es zu Störungen wie Maschinenausfällen oder überfüllten Zwischenlagern kommt. Darüber hinaus ist ein Online-Marktplatz angeschlossen, auf dem Ersatzteile bestellt werden können.

Künstliche Intelligenz und verwandte Technologien wie Big Data, Data Analytics oder Internet of Things (IoT) führen dazu, dass industrielle Fertigungen immer stärker mit der Büro-IT und mit dem Internet vernetzt werden. Hierdurch wird einerseits eine umfassende Nutzung von Daten ermöglicht, andererseits erhöht sich aber die Anfälligkeit für Cyber-Angriffe. Kristiina Omri von Cybexer Technologies aus Estland gab einen Überblick, wie die IT-Sicherheit von KI-Systemen gestärkt werden kann. Von entscheidender Bedeutung sei die transparentere Gestaltung insbesondere der tiefen neuronalen Netze, die bislang meist eher einer Black Box glichen.

Am zweiten Tag der IPEC 2022 hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, online mit potenziellen Partnern zu diskutieren. Insgesamt wurden vom Enterprise Europe Network / Bayern Innovativ GmbH 227 Online-Meetings vermittelt und durchgeführt. Parallel wurden auf dem virtuellen Marktplatz mehr als 240 Projektideen präsentiert.

Autor:

Dr. Ronald Künneth ist Experte für vernetzte Produktion, Energiewirtschaft und Technologie-Transfer bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken.