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Bildquelle: IHK Nürnberg für Mittelfranken Illustration: Anton Atzenhofer

Industrie 4.0 soll den Weg bereiten für eine hoch effiziente Produktion und neue Geschäftsmodelle. Welche Konzepte verbergen sich genau dahinter?

Die automatisierte Produktion ist nicht erst im digitalen Zeitalter entstanden, sondern hat bereits eine jahrzehntelange Geschichte. Allerdings handelte es sich bislang um relativ starre Lösungen, die nur schwer auf ungeplante Ereignisse und Anforderungen reagieren können. So muss man die klassischen Speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS) bereits im Engineering-Prozess mit dem vollständigen Wissen über die zu lösenden Aufgaben füttern. Sie eignen sich damit für die Fertigung von hohen Stückzahlen, für die alle Produktvarianten bereits in der Planungsphase feststehen.

Mit Industrie 4.0 steht nun ein durchgreifender Wandel an: Möglich werden Lösungen, deren Verhalten nicht starr vorgegeben ist, sondern die sich je nach Situation verändern können. Es werden also auch Ereignisse bewältigt, die beim Entwurf der Systeme noch nicht bekannt sein können, wie beispielsweise unerwartete Produktvarianten oder unvorhersehbare Fehler.

Cyber-Physische Systeme (CPS)

Ermöglicht wird diese Flexibilität durch die sogenannten Cyber-Physischen Systeme (CPS): Für reale Objekte (z. B elektrische Antriebe) werden im Internet Beschreibungen ihrer Eigenschaften und Funktionen bereitgestellt (sogenannte virtuelle Repräsentanz des Objekts). Damit entsteht eine Verbindung aus realer Welt (Physis) und digitaler Welt (Cyber). Die Cyber-Physischen Systeme, die völlig neue Möglichkeiten eröffnen, lassen sich im Wesentlichen in drei Gruppen einteilen:

  • „Industrie 4.0-Komponenten“ für eine wandlungsfähige Produktion
  • „Digitaler Zwilling“ für eine verbesserte Planung
  • statistische Datenmodelle für neue digitale Geschäftskonzepte

Industrie 4.0-Komponente: Die Vision von Industrie 4.0 ist es, eine hoch flexible, individuelle Produktion zu erreichen, bei der sogar die Fertigung von Einzelstücken wirtschaftlich wird. Entscheidend dafür ist zum einen, dass neue Anlagenkomponenten ohne Aufwand in die Fertigungslinie integriert werden können. Zum anderen müssen Komponenten unterschiedlicher Hersteller problemlos miteinander interagieren. Die einzelnen Komponenten sollen sich auf einfache Weise gleichsam nach dem Lego-Prinzip kombinieren lassen.

Ein Beispiel hierfür ist das von der Bayerischen Forschungsstiftung geförderte Projekt „RoboFill 4.0“, in dem die Unternehmen Infoteam Software AG aus Bubenreuth und Proleit AG aus Herzogenaurach zusammen mit weiteren Partnern eine Abfüllanlage für die kundenindividuelle Getränkeproduktion entwickeln. Sollten sich die Wünsche der Kunden ändern, müssen nicht mehr die Steuerungen in den einzelnen Komponenten der Abfüllanlage umprogrammiert werden. Stattdessen organisiert sich das System sozusagen selbst, indem sich die einzelnen Komponenten autonom untereinander abstimmen. Und hier kommen die Industrie 4.0-Komponenten der einzelnen Anlagenteile ins Spiel: Für jeden Antrieb, jede Maschine usw. sind deren Eigenschaften und Funktionen digital hinterlegt, jede Komponente hat Zugriff auf die Informationen aller anderen Komponenten. Durch dieses maschinelle „Wissensmanagement“ wird eine Selbstorganisation der Anlagenteile möglich, die bislang der Mensch mit seinem Wissen und seiner Erfahrung übernehmen musste. Um beim Beispiel der Getränkeabfüllanlage zu bleiben: Die technischen Abläufe werden nicht mehr detailliert von Menschen programmiert, sondern lediglich in Form von Aufgaben und Zielen vorgegeben („Getränk abfüllen“, „Flaschen beschriften“ usw.).

Digitaler Zwilling: Mit dem „Digitalen Zwilling“ bricht auch beim Engineering und bei der Planung ein neues Zeitalter an. Das ist ein Simulationsmodul, um die Geometrie und das physikalische Verhalten eines realen Objekts (z. B. Anlagenkomponenten, Maschinen, Fertigungslinien, Produktionsprozesse) realistisch darzustellen, zu analysieren und zu testen. Mit dem digitalen Zwilling lassen sich beispielsweise in kürzester Zeit unterschiedliche Designs durchspielen, ohne dass teure Prototypen angefertigt werden müssen. Möglich sind nicht nur zweidimensionale Visualisierungen, sondern auch räumliche Darstellungen – Stichworte Virtual Reality und Augmented Reality. Das beschleunigt etwa die Entwicklung von Werkzeugmaschinen, denn sie können nun virtuell getestet werden, bevor sie beim Kunden in Betrieb gehen. Ein weiterer Vorteil des Digitalen Zwillings: Er kann über den gesamten Lebenszyklus aktuell gehalten werden und steht auch in der Betriebs- oder in der Recyclingphase für Simulationen oder Tests zur Verfügung.

Statistische Datenmodelle: Die dritte wichtige Komponente für die Industrie 4.0 sind datengetriebene Ansätze, wobei ein Akzent auf Systemen der Künstlichen Intelligenz (u. a. maschinelles Lernens) liegt. Sie können aus Beispielen „lernen“ und das Gelernte für neue Anwendungen verallgemeinern. Zum Einsatz kommen sie, wenn die Aufgabe nur schwer in Form von klassischen Algorithmen programmiert werden kann. Dies betrifft beispielsweise die Erkennung und Verarbeitung von nicht klar festgelegten Objekten, wie dies etwa bei der Sprach- oder Bilderkennung der Fall ist.

Ein Einsatzgebiet des maschinellen Lernens in der Industrie ist die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance): Anhand der zeitlichen Entwicklung von Merkmalen wie Temperatur, Vibration oder Geräuschentwicklung prognostizieren die Systeme, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Störung auftritt. So können die Art und der Zeitpunkt künftiger Eingriffe präziser bestimmt und damit die Lebensdauer von Maschinen verlängert und ungeplante Stillstände vermieden werden. Zum Einsatz kommt diese Technologie vielfach schon für die Überwachung von Antriebssträngen oder Ventilen in Maschinen und Anlagen aller Art. Maschinelles Lernen gilt auch als Schlüsseltechnologie für die Entwicklung autonomer Systeme: So sollen beispielsweise kollaborative Roboter mit ihren menschlichen Kollegen Hand in Hand arbeiten, wie eine IHK-Veranstaltung am Montag, 24. Juli 2017 aufzeigen wird (siehe Info-Kasten).

Die Systeme des maschinellen Lernens sind allerdings durch verschiedene Zielkonflikte in ihrer Anwendbarkeit begrenzt. Grundsätzlich gilt die Regel: Je leistungsfähiger das System, desto größer die benötigte Datenmenge und desto intransparenter das gelernte Vorhersage-Modell. Um diese Zielkonflikte zu umgehen, kann maschinelles Lernen zu „kognitiven Systemen“ erweitert werden, indem man die gelernten statistischen Modelle um formales Expertenwissen ergänzt. Sie sind damit zu logischen Schlussfolgerungen sowie zur Erzeugung und Bewertung von Hypothesen in der Lage. Ein bekanntes Beispiel ist das System Watson von IBM. Mit solchen kognitiven Systemen kann das Geschäftsmodell der „Predictive Maintenance“ zum Geschäftsmodell der „Prescriptive Maintenance“ erweitert werden: Auf diese Weise lässt sich nicht nur vorhersagen, wann Verschleißerscheinungen bei Maschinen auftreten, sondern das System kann auch die entsprechenden Ursachen ergründen und Maßnahmen zur Behebung vorschlagen. Eine Vision, die kurz vor der Realisierung steht, ist die selbstheilende Maschine: Sie kann auftretende Probleme, die in der Entwicklungsphase der Maschine noch nicht abschätzbar waren, im realen Einsatz selbst korrigieren, indem sie beispielsweise einen Regler nachstellt oder einzelne Parameter anpasst.

Umfangreiche Informationen zu Industrie 4.0 sind auf dem Online-Portal www.plattform-i40.de abrufbar, das vom Bundeswirtschaftsministerium betrieben wird und eine umfassende Online-Bibliothek beinhaltet.